Am 23. Februar 2025 wird der neue Bundestag gewählt. Die kommenden Jahre werden richtungsweisend für Inklusion in unserer Gesellschaft sein. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe hat Forderungen zur Bundestagswahl zusammengestellt, die Parteien ihre Wahlprogramme verabschiedet.
Wir haben uns die wichtigsten Forderungen und die Wahlprogramme der sieben Parteien angeschaut, die derzeit vermutlich die größten Chancen haben, in den Bundestag einzuziehen.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe hat die derzeit wichtigsten Handlungsbedarfe für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und deren An- und Zugehörigen für die aktuelle Bundestagswahl in einem Forderungspapier zusammengestellt. Zusammenfassend geht es vor allem um folgende Bereiche:
Vielfach werden die Belange von Menschen mit geistiger Behinderung noch zu wenig gesehen und berücksichtigt. Menschen mit geistiger Behinderungen und ihre Interessenverbände, wie zum Beispiel die Lebenshilfe müssen an Vorbereitung, Beratung und Evaluation von sie betreffenden Gesetzen beteiligt werden.
Wichtig ist dabei auch, dass die Beteiligungsverfahren barrierefrei ausgestaltet werden, um auch Selbstvertreter:innen Beteiligung zu ermöglichen.
Die Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) ist stufenweise in den letzten Jahren reformiert worden. In einem weiteren Schritt soll bis zum 1.1.2027 die Kinder- und Jugendhilfe inklusiv werden. Kinder, Jugendliche und ihre Familien haben künftig unabhängig von der Art einer Behinderung Ansprüche auf Unterstützung und Hilfen des Jugendamtes. Wechsel von Zuständigkeiten bei Ämtern oder Gerichtswegen wären somit überwunden. Auch werden Familien derzeit unterschiedlich bei der Heranziehung von Einkommen und Vermögen belastet. Das neue Gesetze sah hier wichtige Verbesserungen vor.
Obwohl der Entwurf zum neuen SGB VIII bereits fertiggestellt war, konnte eine Umsetzung nicht mehr erfolgen. Aufgrund gesetzlicher Fristen muss dies bis Sommer 2025 allerdings zwingend geschehen.
Das Bundesteilhabegesetz wollte allen Menschen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe ermöglichen. Leistungen der sozialen Teilhabe sollten bedarfsgerecht und personenzentriert für alle erfolgen.
Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes geht leider nur sehr schleppend voran und ist regional in Deutschland sehr unterschiedlich. Auch werden Bedarfe von Menschen mit hohem und komplexem Unterstützungsbedarf nicht ausreichend berücksichtigt und umgesetzt. Für sie ergaben sich bislang nicht ausreichend sichtbare Verbesserungen.
Diese Unterschiede und Verbesserungsbedarfe sollen im Abschlussbericht zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes im Frühjahr 2025 veröffentlicht werden. Der Bericht soll wahrgenommen und ernsthaft diskutiert werden sowie die Grundlage für gesetzliche Änderungen bilden.
Menschen mit hohem und komplexem Unterstützungsbedarf werden besonders häufig von ihren Familien umfangreich unterstützt. Gleichzeitig sind immer noch zu wenig Betreuungs- und Unterstützungsangebote für sie vorhanden. Familien sind dadurch zeitlich und auch finanziell stark belastet. Häufig muss ein Familienmitglied seine Erwerbstätigkeit reduzieren oder aufgeben.
Diese Familien sollen daher Lohnersatzleistungen für pflegebedingte Auszeiten erhalten. Auch in der Kinder- und Jugendhilfe soll es niedrigschwellige Familienentlastungen für alltagspraktische haushaltsnahe Unterstützungs- und Betreuungsleistungen geben.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Inklusion ist die Barrierefreiheit des öffentlichen und privaten Lebens. Dabei sollten alle Anbieter barrierefrei sein. Auch müssen dafür alle Bedarfe von Menschen mit Behinderungen mitgedacht werden. Menschen mit geistiger Behinderung benötigen zum Beispiel häufig Leichte Sprache.
Um dies umzusetzen, braucht es gesetzliche Änderungen etwa im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und im Behindertengleichstellungsgesetz. Es braucht aber auch Pläne zur praktischen Umsetzung. Um das Gesundheitswesen inklusiv zu gestalten, wurde 2024 ein Maßnahmenplan erarbeitet, der in den nächsten Jahren sukzessive umgesetzt werden muss.
Momentan erleben wir im Bildungssystem wieder Rückschritte und zum Teil einen neuen Ausbau des Förderschulsystems. Auch ist es noch nicht flächendeckend gelungen, den Arbeitsmarkt grundlegend inklusiver zu gestalten. Immer noch arbeiten daher viele Menschen mit geistiger Behinderungen in Werkstätten.
Um in beiden Bereichen endlich spürbare Verbesserungen zu erreichen, soll ein nationaler Aktionsplan für die Bereiche Bildung und Arbeit gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen und deren Interessenvertretungen erarbeitet werden.
Im Wesentlichen sollen dann alle Schüler:innen ein Recht auf inklusive Bildung unter angemessenen Bedingung erhalten. Arbeitsplätze in Unternehmen sollen barrierefrei sein und Werkstätten sich weiterentwickeln. Auch gesetzlich müssen weitere Verbesserungen auf den Weg gebracht werden. So sollten Förderung und Dauer im Bereich der beruflichen Bildung verbessert werden. Ebenfalls soll die Entlohnung in Werkstätten verbessert werden. Gleichzeitig soll eine Angleichung von Nachteilsausgleichen bei der Rente von Menschen mit Budget für Arbeit an Werkstattbeschäftigte erfolgen.
Weitere Details und mehr zu den Forderungen finden Sie im Forderungspapier der Bundesvereinigung Lebenshilfe
> Forderungen Langfassung
> Forderungen Kurzfassung
> Forderungen in Leichter Sprache
Aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen, politischen sowie wirtschaftlichen Lage ist bei vielen Parteien die Wirtschaftspolitik und Sicherheitspolitik deutlich stärker gewichtet als die Sozialpolitik. Dies spiegelt sich auch in den Wahlprogrammen wieder.
Der Lebenshilfe Berlin e.V. vertritt die Ansicht, dass nur Inklusion und Teilhabe allen Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben mitten in der Gesellschaft ermöglichen können.
Wir haben die Programme der sieben Parteien, die aktuell gute Chancen haben in den Bundestag einzuziehen, im Hinblick auf Verbesserungen für Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen angesehen.
Wir können dabei nur einen kleinen Einblick geben, erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und können keine Wahlempfehlungen abgeben. Schauen Sie sich gern die Wahlprogramme der Parteien selbst an.
Das gemeinsame Wahlprogramm der Christlichen Unionsparteien legt den Fokus auf gesellschaftlichen Zusammenhalt, wozu auch die Sicherung der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gehört.
Inklusive Sozialräume und Barrierefreiheit werden als Mehrwert für alle Generationen angesehen. Der Arbeitsmarkt soll inklusiver werden, wenn auch gewohnte Strukturen (Inklusionsbetriebe, Werkstätten) gleichberechtigt erhalten werden sollen. Leistungen aus einer Hand sollen auch in einfachen Zuständigkeiten in Antragsverfahren ermöglicht werden.
Das Gesundheitssystem soll inklusiv gestaltet werden, Anträge für Hilfsmittel für Kinder mit Behinderungen erleichtert.
Im Bereich Bildung sollen neben Inklusionsangeboten auch Förderschulen erhalten bleiben. In der Kinder- und Jugendhilfe sollen rechtliche Voraussetzungen für eine verbesserte Kooperation von Schule, Jugendhilfe und Eingliederungshilfe geschaffen werden.
Angehörige sollen bei der Pflege stärker unterstützt und die Vereinbarkeit mit dem Beruf verbessert werden.
Individualverkehr und ÖPNV müssen zusammen und barrierefrei gedacht werden.
Die Sozialdemokratische Partei bekennt sich zu Inklusion und Teilhabe für Menschen mit Behinderung. Dazu gehört unter anderem die Barrierefreiheit.
Das Wahlprogramm benennt Barrierefreiheit vor allem im Wohnen, bei der Mobilität, im Digitalen und in der Gesundheit sowie im privaten und öffentlichen Bereich. Pflegende Angehörige sollen entlastet werden, z.B. durch Familienpflegezeit und Familienpflegegeld. Sozialleistungen sollen vereinfacht beantragt werden, Leistungen zusammengefasst und besser aufeinander abgestimmt werden. Dafür soll es wohnortnahe und barrierefreie Anlaufstellen geben. Antragsverfahren sollen verbessert werden, um zügigere Sozialleistungsverfahren zu erreichen (Genehmigungsfiktion!).
Weiter soll das gleiche Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderung gewährleistet werden. Dafür sollen die Aufnahme einer Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und die Weiterentwicklung der Werkstätten für behinderte Menschen gefördert werden.
Die Deutsche Gebärdensprache soll bundesweit gefördert werden, und Menschen sollen beim Erlernen unterstützt werden. Auf Bundesebene soll ein Kompetenzzentrum für Deutsche Gebärdensprache und Leichte Sprache eingerichtet werden.
Im Gesundheitsbereich soll der Aktionsplan für ein inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen zügig umgesetzt werden.
Der Gewaltschutz in Einrichtungen und bei Dienstleistungen der Behindertenhilfe soll durch schärfere gesetzliche Regelungen für Gewaltschutzkonzepte gestärkt werden.
Diskriminierungen sollen abgebaut werden, u.a. soll dafür das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) modernisiert werden.
Bündnis 90/Die Grünen wollen eine inklusive Gesellschaft, in der Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt und selbstbestimmt teilhaben können. Maßstab ist dabei die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Barrierefreiheit soll konsequent in allen Bereichen umgesetzt werden und sowohl öffentliche, als auch private Anbieter verpflichten.
Schulgebäude sollen modern und barrierefrei ausgebaut werden, Stellen für Inklusion und Sozialarbeit erweitert werden.
Der Arbeitsmarkt soll gleichberechtigt auch allen Menschen mit Behinderungen offenstehen. Werkstätten sollen sich zu Inklusionsbetrieben weiterentwickeln. Werkstattbeschäftigte sollen Mindestlohn erhalten, die Rentenansprüche von Werkstattbeschäftigten auch bei inklusiven Arbeitsplätzen erhalten bleiben.
Schnittstellen der Eingliederungshilfe, z.B. zur Pflege, sollen vereinfacht und verbessert werden. Die Durchsetzung von Ansprüchen für Betroffene soll erleichtert und beschleunigt werden.
Inklusive Wohnmöglichkeiten sowie eine inklusive Sportpolitik und die Barrierefreiheit im ÖPNV sollen vorangetrieben werden.
Das persönliche Budget soll gestärkt werden und allgemein Leistungen der Teilhabe weiter unabhängiger von Einkommen und Vermögen gewährt werden.
Der Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen soll verbessert werden.
Pflegende Angehörige wollen die Grünen entlasten. Das Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII) soll inklusiv werden, und der Übergang ins Erwachsenenleben besser unterstützt werden.
Die Linke spricht sich vor allem gegen eine Spaltung der Gesellschaft, für größere Gerechtigkeit und gleichere Lebensverhältnisse aus. Inklusion sieht sie als selbstverständlich an. Sonderstrukturen sollen überwunden und die UN-Behindertenrechtskonvention vollständig umgesetzt werden.
Angebote für Kinder und Jugendliche, z.B. Freizeiteinrichtungen, Musikschulen, Bibliotheken, müssen niedrigschwellig, barrierefrei, wohnortnah und möglichst gebührenfrei sein.
Im Bereich Wohnen sollen Quoten u.a. für barrierefreie Angebote mehr Wohnraum für Menschen mit Behinderungen schaffen. Auch der ÖPNV soll barrierefrei und bezahlbar sein. Ebenfalls sollen Angebote der gesundheitlichen Versorgung barrierefrei und wohnortnah zur Verfügung stehen. Schutz und Beratung für Frauen und deren Kinder soll flächendeckend und barrierefrei zur Verfügung stehen.
Im Bereich Bildung müssen Bildungseinrichtungen barrierefrei, passend ausgestattet und mit ausreichend Fachkräften sein. Individuelle Förderung und individuelle Bedürfnisse der Schüler:innen müssen berücksichtigt werden. Die Etikettierung nach verschiedenen Förderschwerpunkten wird als diskriminierend und aussondert angesehen. Förderung muss stets individuell erfolgen.
Barrierefreiheit soll umfassend für private und öffentlichen Stellen verpflichtend sein. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) sollen dafür angepasst werden.
Arbeit soll inklusiv gemacht werden. Dafür werden Inklusionsbetriebe gefördert. Mindestlohn soll auch in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen gelten.
Die Freie Demokratische Partei bekennt sich in ihrem Wahlprogramm zu einer toleranten und offenen Gesellschaft. Menschen mit Behinderungen erfahren immer noch viele Hürden, die an einer gleichberechtigten Teilhabe in der Gesellschaft hindern. Dies soll überwunden werden.
Im öffentlichen Leben soll mehr Barrierefreiheit umgesetzt werden.
Es wird sich für ein inklusives Bildungssystem von der Kita bis zur Berufsausbildung ausgesprochen. Sonderpädagogische Inhalte sollen in der Grundschullehrerausbildung verbindlicher Bestandteil sein. Gleichzeitig werden Förderschulen für unverzichtbar gehalten, um der individuellen Förderungen für einige Schüler:innen mit Behinderungen gerecht werden zu können.
Behinderungen sollen künftig nur einmal nachgewiesen werden.
Praxisnahe Förderung und Arbeitsvermittlung soll die Chancen der Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen verbessern.
Für pflegende Angehörige soll die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege verbessert werden. Kurz- und Tagespflegeangebote sollen dafür ausgebaut werden. Pflegende Kinder und Jugendliche sollen mehr in den Blick genommen und niedrigschwellige Beratungsangebote ausgebaut werden.
Führende Vertreter:innen der AFD haben sich immer wieder gegen Inklusion und die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ausgesprochen.
Im Wahlprogramm sind keine grundlegenden Positionen, die Menschen mit Behinderungen in den Blick nehmen, vorhanden.
Beim Bündnis Sahra Wagenknecht stehen Friedens- und Sicherheitspolitik sowie Verbesserungen der Infrastruktur im Vordergrund. Zur Förderung einer inklusiven Gesellschaft wird jede Form von Diskriminierung abgelehnt.
Die UN-Behindertenrechtskonvention soll im Bund und den Ländern konsequenter umgesetzt werden.
Für die Schaffung barrierefreier Arbeitsplätze sollen Anreize geschaffen und eine inklusive Arbeitswelt gefördert werden.
Unterschiedliche Schultypen werden im Schul- und Ausbildungssystem als sinnvoll angesehen. Das BSW befürwortet Selektion anhand von Leistungskriterien. Es sollen dabei jedoch Maßnahmen gegen Selektion aus sozialen Gründen ergriffen werden.