Am 5. Juni 2024 fand in der Berliner Stadtmission ein Fachtag der Mutstelle Berlin, Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt, statt. 160 Menschen mit und ohne Beeinträchtigung waren zu Gast oder haben den Tag aktiv mitgestaltet. Anlass war das 10-jährige Bestehen der Mutstelle, die an diesem Tag eine fachlich intensive und zugleich inklusive Veranstaltung ausrichtete.
Sexualisierte Gewalt verletzt die Betroffenen tief, und die Wunde bestimmt oft ein ganzes Leben. Menschen mit Beeinträchtigung sind häufiger als andere davon betroffen. In den Vorträgen wurde deutlich, dass die Mutstelle Berlin in den letzten zehn Jahren Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet hat.
Grußworte, Vorträge, Bühnengespräche, eine Lesung und ein Tanz gestalteten den ersten Teil des Tages. Grüße der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen übermittelte Maike Elborg.
Dr. Britta Schlegel, Vertreterin der Monitoring-Stelle UN-Behinderten-Rechts-Konvention, machte deutlich, dass Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen den Gewaltschutz in Deutschland mangelhaft bewerten. Seit drei Jahren gibt es bundes- und berlinweite gesetzliche Regelungen. Für die Einrichtungen der Behindertenhilfe fordern sie u.a. Gewaltschutzkonzepte. Das ist ein Anfang auf dem Weg zu weniger Gewalt an Menschen mit Beeinträchtigung, aber der Weg zu einem inklusiven Gewaltschutz in Berlin ist noch weit. Zum Beispiel könnten gesetzlich verankerte Frauenbeauftragte für Einrichtungen, wie es sie bereits in einigen Bundesländern gibt, bessere Unterstützung bieten, ebenso wie gesetzliche Regelungen, die Opfer und Täter von Gewalt trennen. Derzeit leben beide häufig nach der Tat weiter in Wohneinrichtungen zusammen. Das macht es für Betroffene schwer bis unmöglich, sich von einem Übergriff zu erholen, für Täter:innen fehlen eindeutige Konsequenzen.
Anschließend ging es auf der Bühne um die Arbeit von Frauenbeauftragten mit Beeinträchtigung. Selbstbewusste Frauenbeauftragte aus Werkstätten, einer Wohneinrichtung und eine Trainerin sprachen über ihre Arbeit: Franziska Keil, Gabi Koza, Nihal Arslan, Peggy Turan sowie Ricarda Kluge vom Projekt SuSe des Bff. Ein Ergebnis ist, dass Frauen sich jetzt mehr in den Werkstätten trauen, über Gewalterfahrungen zu sprechen – ein Anfang. Frauenbeauftragte müssen aber noch an vielen Fronten kämpfen.
Professor Dr. Barbara Kavemann als Vertreterin der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs beschrieb u.a. die Aufgaben der Kommission. Betroffene können dort anonym ihre Geschichte erzählen. Aus den vielfältigen Erfahrungen werden Empfehlungen erarbeitet, wie sexualisierte Gewalt zukünftig möglichst vermieden werden kann.
Es folgte eine Videolesung von Ingo L., der selbst von sexuellem Missbrauch betroffen ist und seine Erfahrungen in einem Roman verarbeitet. Der Protagonist „Max“ spricht in klaren Worten über seine Gefühle, ein berührender Text.
Auch bei dem anschließenden Tanz vonOne Billion Rising mit dem Publikum gibt es eine Verbindung zur Mutstelle. Sie hat initiiert, dass die komplizierte Schrittfolge für Menschen mit Beeinträchtigung vereinfacht wurde.
Wie kann ich mich schützen, damit mir keine sexualisierte Gewalt passiert? Und: Was kann ich tun, wenn ich sexualisierte Gewalt erlebt habe? Das sind Leitfragen, die sich durch den Tag ziehen und auch die Teilnehmenden der Workshops bewegen, die den 2. Teil des Fachtags prägen.
In einen Workshop wurden möglichen Schritte nach einer Missbrauchserfahrung mit Rollenspielen dargestellt, natürlich mit Fachleuten, wie einer Anwältin und Kriminalbeamtinnen. Bewegend ist es, die ehrliche Zugewandtheit der Fachleute zu sehen.
In einem weiteren Workshop wurde eine App in Leichter Sprache zum Schutz vor Cyber-Mobbing vorgestellt. Auch das erste inklusive Frauenhaus stellte sich bei einem Workshop vor. In einem Workshop konnte Selbstbehauptung geübt werden und in einem anderen ging es um den Umgang mit grenzverletzendem Verhalten.
Der gesamte Fachtag war inklusiv, beginnend bei der warmherzigen und klugen Moderation von Dörte Maack und Gabi Koza, beides Frauen mit Beeinträchtigung. Die Workshopleitungen waren inklusiv, beim Catering arbeitete das inklusive Team von Aussicht Marzahn und auf den Fachtagsfilm von den Einfach-Reportern können sich alle freuen, die nicht dabei sein konnten.